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  • AutorenbildLeila Hajikhanian

Absolute Makellosigkeit – Ticket zu Erfolg oder Unglück?

Aktualisiert: 6. Apr. 2023

Ein Weg aus der Perfektionismusfalle






Sie haben die Erwartung an sich, nie Fehler zu machen? 100 Prozent ist gerade mal gut genug für Sie? Sie optimieren ständig und trotzdem sind Sie selten zufrieden mit sich und Ihrer Leistung? Dann könnte es sein, dass Sie in der Perfektionismusfalle sitzen.


Perfektionsstreben ist nicht prinzipiell etwas Schlechtes.

Es dient sogar als Motivator, hohe Ziele zu erreichen und sorgt für Weiterentwicklung. Wird der Wunsch sich zu optimieren so stark, dass die eigenen Ansprüche kaum mehr erreichbar sind, kann dies zu einer starken Belastung der Psyche führen.


Die Ausrichtung nach Idealen bzw. „Soll-Werten“ dient als Kompass für unser Leben. Wenn allerdings die Diskrepanz zwischen dem „Ist-“ und dem „Soll-Zustand“ nicht oder nur schwer zu ertragen ist, wird aus dem Soll ein Muss und ein ängstliches Fehlervermeidungsverhalten beginnt das Denken und Handeln zu prägen.


Perfektionisten stehen unter der Tyrannei des Müssens schrieb die Psychoanalytikerin Karen Horney.

Wenn sie den eigenen, meist überhöhten Ansprüchen nicht genügen, wird die Stimme ihres inneren Richters laut und die Urteile, die er fällt, sind oftmals niederschmetternd. Aus Sicht des Richters gibt es nur „perfekt“ – oder „schlecht“. Fehler sind keinesfalls erlaubt und andere sind sowieso meist besser als man selbst.

Diese und ähnliche Glaubenssätze sorgen dafür, dass das Selbstwertgefühl stark vom hundertprozentigen Gelingen eines Vorhabens abhängt – auch wenn dies vielleicht gar nicht nur von uns selbst beeinflussbar ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass Selbstoptimierer dazu tendieren, Unmögliches von sich zu verlangen. Horney stellte schon 1950 fest, dass es Perfektionisten um nicht weniger, als die „Beherrschung des Lebens“ gehe. Es liegt auf der Hand, dass die Erfolgschancen dafür relativ gering sind und das Selbstwertgefühl durch die vorprogrammierten Misserfolge leidet.


Was bringt uns eigentlich dazu, so hart mit uns ins Gericht zu gehen und uns keine Schwächen zuzugestehen?

Die Beantwortung dieser Frage leistet auch einen wesentlichen Beitrag zum Finden eines Auswegs aus der Perfektionismusfalle.

Die Forschung bestätigt, dass der Hauptfaktor für die Entstehung von perfektionistischen Tendenzen in der Erziehung und der gesellschaftlichen Prägung liegt. Sowohl das Vorbild der Eltern als auch ihre Reaktion auf das Erbringen oder Ausbleiben von Leistung wird von Kindern ungeprüft abgespeichert. Die daraus entstehenden Antreibersätze verankern sich im kindlichen Gehirn und behalten häufig auch im Erwachsenenalter noch ihre Gültigkeit. Laut Forschern der New York University und der University of British Columbia ist Perfektionismus in unserer westlichen Welt endemisch. Er liegt gewissermaßen unseren Wertvorstellungen zugrunde. Nicht nur dass es sich um ein gesellschaftlich akzeptiertes Laster handelt - es gehört inzwischen sogar zum guten Ton, sich zu optimieren und Höchstleistungen zu erbringen. Befeuert wird diese Entwicklung nicht zuletzt durch die sozialen Medien. Studien belegen, dass durch die Nutzung von Facebook und Co., aufgrund der Fülle an Posts, die nur die Schokoladeseite der Menschen zeigen, das eigene Leben abgewertet und dadurch das Selbstwertgefühl geschwächt wird. Gleichzeitig wird suggeriert, dass man sich nur noch ein bisschen mehr anstrengen müsse, um das perfekte Leben zu erreichen. Lassen wir uns auf die Jagd nach der Makellosigkeit ein, lösen wir damit möglicherweise die Eintrittskarte ins Reich der Unzufriedenheit und des Unglücks.


Was schützt uns vor der Perfektionismusfalle und wie entkommen wir ihr, wenn wir schon hineingetappt sind?

Am Anfang steht die Bewusstseinsbildung: Zu erkennen, erstens woher der innere Richter kommt und zweitens was ihn stärkt, hilft uns, ihm seine ungünstige Wirkkraft zu nehmen.

Machen Sie sich Selbstgespräche und Denkmuster bewusst. Wenn darin oft „Ich muss…“, „Ich darf nicht…“, „Ich sollte…“ vorkommen, dann steht dahinter ihr innerer Richter. Ebenso verhält es sich in Situationen, in denen Sie in gedanklichen Vergleichen mit anderen schlechter abschneiden (z.B.: „Der kann das viel besser als ich.“ „ Die ist viel attraktiver als ich.“)


Achten Sie außerdem auf körperliche Symptome wie beispielsweise Rücken-, Magen- oder Kopfschmerzen und reflektieren Sie, ob diese in Verbindung mit Ihren inneren Antreibern stehen könnten. Auch häufig wiederkehrende Scham- und Schuldgefühle könnten Hinweise auf eine Übermacht des inneren Richters sein.


Im nächsten Schritt hinterfragen Sie die Verurteilungen des Richters. Etwas nicht vollständig erledigt zu haben, ist eine Sache. Die Bewertung, deshalb ein Taugenichts zu sein, eine ganz andere und unter Umständen nicht verhältnismäßig.


Außerdem haben Sie die Möglichkeit, sich vom Richter zu distanzieren, indem sie sich bewusstmachen, dass er nicht mehr als eine Stimme ist, die zu ihnen spricht. Und wenn er mit seinen Bewertungen und Schuldzuweisungen zu vehement wird, können Sie ihm mit Sätzen wie „Es reicht! Du hast kein Recht, so mit mir zu sprechen!“ Grenzen setzen. Auch Humor kann eine äußerst effiziente Waffe im Kampf gegen den Richter sein. Sich über ihn lustig zu machen, relativiert seine Machtposition und hilft die gesamte Situation gelassener zu sehen.


Ein wohlwollenderer Umgang mit sich und seinen Makeln ermöglicht Ihnen mehr Freude und Leichtigkeit. Und genau das ist für viele der Schlüssel zu einem erfüllteren Leben.


Sollten Sie sich mehr Leichtigkeit und Freude wünschen, helfe ich Ihnen gerne, einen guten Umgang mit Ihrem inneren Richter zu finden.


Quellen:

Bonelli, R.M. (2014), Perfektionismus. Wenn das Soll zum Muss wird. Pattloch-Verlag

Spitzer, N. (2016), Perfektionismus und seine vielfältigen psychischen Folgen. Ein Leitfaden für Psychotherapie und Beratung. Springer Verlag

Psychologie Heute - Muss ich perfekt sein? Warum es gut ist, wenn Sie nicht alles richtig machen. Nr. 40 /2015


Anmerkung:

Adaptierte Fassung meines 2022 unter demselben Titel auf https://mcb.tirol-kliniken.at/page.cfm?vpath=service/newsletter/maerz-2022 erschienenen Beitrags.


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